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Montag, 3. Juni 2013

Blockupy: Eine Kugel zwischen die Augen, und gut is‘

Der Tag hatte so friedlich angefangen: Am Samstag versammelte sich das Blockupy-Bündnis in Frankfurt und wollte gegen die europäische Austeritätspolitik demonstrieren. Der Aufzug endete kurze Zeit später im Desaster, einem politischen Skandal.


Werner Rätz hat schon Einiges erlebt. Der Attac-Mitbegründer mit dem weißen Bart meldet seit den 70ern Demonstrationen an, er kennt sich mit der Rechtslage aus, er weiß, dass es auf der Straße ruppig zugehen kann. Doch am Samstagnachmittag muss er sich sichtlich bemühen, beim Sprechen ruhig zu bleiben. „Hier werden in einer Art und Weise Grundrechte außer Kraft gesetzt, wie ich das seit Jahrzehnten nicht erlebt habe“, sagt Rätz. Was sich hier gerade abspiele, sei unglaublich.

Prügel wegen zu langer Transparente

Die Demonstration war noch nicht einmal einen Kilometer gelaufen, als schon der große antikapitalistische Block eingekesselt und unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppel vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Als Begründung wurde erklärt, dass sich in dem Block potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden hätten, manche Sonnenbrillen und Regenschirme mit sich führten und einige Transparente etwas zu lang gewesen seien.

Ob der Polizist denn Angst vor ihm habe, will ein junger Mann wissen. „Nein, wenn Sie mich angreifen, erschieße ich Sie“, blafft der Beamte. „Eine Kugel zwischen die Augen, und gut is‘.“ 

Eskalation und Kessel von langer Hand geplant

Die Eingekesselten hätten sich bereit erklärt, von der Polizei beanstandete Gegenstände zurück zu lassen. Selbst die Demo-Route entlang dem Mains habe die Demo-Leitung unter Protest akzeptiert. Doch die Polizeileitung in Wiesbaden lehne jede Deeskalation ab und bestehe darauf, alle eingekesselten Demonstranten Leibesvisitationen und Gepäckkontrollen zu unterziehen. Als die Demonstranten diese Schikane zurückwiesen und auf ihrem Recht bestanden, die Demonstration gemeinsam zu Ende zu führen, griff die Polizei die Demonstration mit Pfefferspray und Schlagstöcken an.

“Alles deutet darauf hin, dass diese Eskalation von der Polizeiführung in Wiesbaden von langer Hand vorbereitet worden und der Kessel an dieser Stelle von vornherein geplant worden ist”, sagte Blockupy-Sprecherin Ani Dießelmann. So seien etwa die Dixie-Toiletten für die Eingekesselten innerhalb weniger Minuten vor Ort gewesen. “Die standen offenbar schon passend bereit.”

Augenzeugenbericht: "Ich prügle dir die Birne zu Matsch"

"Neben mir und hinter mir Jugendliche, aber auch zahllose Grauhaarige, manche deutlich älter als ich. Männer und Frauen. Wir hätten Eltern und auch Großeltern der vor uns stehenden Kampfmaschinen sein können. Die Demonstration blieb besonnen.

Doch dann plötzlich: Die friedliche Spannung explodierte. Allerdings nicht durch Hitzköpfe in der Demo, sondern durch die Staatsgewalt. Die Kampfgasflaschen wurden gezückt, die Tonfas zum Einsatz gebracht. Wahllos wurde auf Alte und Junge eingedroschen. Ich bekam Pfefferspray ab. Den weitausholenden Tritt mit dem Kampfstiefel sah ich trotzdem kommen - allein, in dem Massentumult um mich herum gab es kein Entkommen. Durch die Kleidung hindurch bekam ich einen Stiefelabdruck auf dem Linken Oberschenkel verpasst. Ich wurde auf die Nase und Oberkörper geschlagen.
Meine PartnerInnen und FreundInnen wurden mir gewaltsam und brutal von der Seite gerissen. Sie berichteten von der gleichen Gewalt, wie ich sie erlebte. Aber auch ein junger Polizist brach unter seinem Visier in Tränen aus. Er stammelte: "Das geht doch nicht, das sind doch alte Menschen". Ein anderer junger Polizist hat Christiane (meine Frau) gerettet, indem er sie hinter sich riss und so vor dem Chemiegas und den Prügeln seiner geradezu im Gewaltrausch befindlichen Kollegen schützte.
Und dann erneut ein Angriff ohne Vorwarnung. Hinter uns die anhaltende Prügelei der Einsatzkräfte an der Spitze des Demonstrationszuges und auf der anderen Seite der Barriere die Kampfgaswolken in den Kessel hinein. Zu unseren Füßen die Verletzten. Da wurden die Absperrgitter vor uns schlagartig auf etwa fünf Meter geöffnet, und ein frontaler Angriff auf uns, die wir Schutz suchten, geführt. Erneut keinerlei Chance zurückzuweichen oder sonst irgendwohin in Sicherheit zu kommen.
"Ich prügle dir die Birne zu Matsch" flüsterte der vor mir stehende Robo-Cop klar und deutlich vernehmbar im Adrenalin-Rausch mit gezückter Tonfa."

Schande für Deutschland: Aserbaidschanische Menschenrechtsaktivistin verurteilt Polizeigewalt scharf 

Haushohe Blamage für die Bundesregierung und das hessische Innenministerium aus Sicht von Asien, die dort den sogenannten “Entwicklungsländern” und Diktatoren gutes Benehmen beibringen wollen.

Der Vorsitzende der aserbaidschanischen nationalen Zweigstelle der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, Saadat Bananyarly, kommentierte am 1. Juni 2013 den Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstranten in der Türkei und in Deutschland der letzten Tage.
Der Menschenrechtsaktivist sagte, dass die Verwendung von übermässiger und unangemessenen Gewalt zur Auflösung der Proteste nicht hinnehmbar ist:
“We condemn the use of inadequate force to disperse demonstrators in Germany and Turkey.”
Weiter meinte Bananyarly, dass dies nicht das erste Mal sei. Menschenrechtler haben sich immer gegen die Anwendung von unangemessener Gewalt ausgesprochen, die gegen die Proteste in Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern angewendet wird. Wasserwerfer und Tränengas sollten nicht verwendet werden, um die Kundgebungen aufzulösen.
“Es gibt andere Methoden dafür. Wenn Menschen protestieren, sollte die Regierung auf sie hören und sich an den Verhandlungstisch setzen.”

Prügelpolizisten erwartet keine Strafverfolgung in Deutschland

Dieser erschütternde Bericht stammt unter anderem aus einer 2010 angefertigten Analyse der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu Polizeigewalt in Deutschland. Der 118 Seite starke Bericht resümiert: „Insbesondere in vielen von Amnesty International untersuchten Fällen mutmaßlicher Misshandlungen sind die Behörden ihren Verpflichtungen aus den Menschenrechten nicht nachgekommen.“ Die Ermittlungen hätten nicht dafür Sorge getragen, dass die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen würden, sowie die Opfer angemessen zu entschädigen.

Besonders besorgt zeigt sich die Menschenrechtsorganisation über die geringe Aufklärungsquote bei Polizeiverbrechen. Mehr als 1400 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten sind allein in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 eingeleitet worden. Zu einer Verurteilung kam es nur in 17 Fällen. Die Verurteilungsquote bei Anklagen gegen die Polizei liegt in NRW damit bei einem beunruhigenden Satz von einem Prozent. Im Rest der Bundesrepublik zeichnet sich ein ähnliches Bild ab.

Im Jahr 2009 gab es 25 Anklagen gegen Polizisten aufgrund von Tötungsdelikten, 1604 aufgrund von Gewaltausübung und 1351 aufgrund von Zwang und Missbrauch. Die Dunkelziffer der Opfer, die sich gar nicht erst an die Öffentlichkeit trauen, schätzt Amnesty um ein vielfaches höher.

Quellen:

Frankfurter Rundschau (Artikel 1 , Artikel 2)

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